Zwei Geschäftsführer über das Vakuum nach dem KI-Hype
Andreas Ollmann, Geschäftsführer der Ministry Group, kulturorientierter Organisationsberater
Nis Niemeier, ebenfalls Geschäftsführer der Ministry Group, technologieoffen, pragmatisch, wachstumsorientiert
Was normalerweise hinter verschlossenen Türen passiert: Zwei Geschäftsführer eines Unternehmens reden Tacheles. Kein PR-Sprech, keine Choreografie. Nur ein ehrlicher Dialog über das, was gerade wirklich in vielen Organisationen passiert – aber selten offen ausgesprochen wird: Wir automatisieren, wir beschleunigen, wir optimieren. Aber was dann? Was, wenn plötzlich alles Repetitive wegfällt – und niemand vorbereitet ist auf das, was danach kommt? Was, wenn KI nicht das Problem ist, sondern der Spiegel? Andreas Ollmann und Nis Niemeier lassen in diesem Gespräch genau die Fragen zu, die sonst im Alltag zu unpraktisch, zu unbequem, zu langsam wirken. Ein intimer, klarer Austausch über Effizienz, Sinn, Führung – und das Unbehagen nach dem KI-Hype.
Nis: Als wir angefangen haben, KI in unseren Alltag zu integrieren, war das für mich vor allem eines: eine riesige Entlastung. Endlich nicht mehr stundenlang an Texten feilen, keine Schleifen für jedes einzelne Slide-Deck. Einfach produktiver arbeiten.
Andreas: Absolut. Und ich will das auch gar nicht kleinreden – der Reiz ist ja real. Die Tools helfen gerade bei den Dingen, die uns oft aufhalten. Aber irgendwann kam bei mir der Moment, in dem ich dachte: Gut, wir sparen Zeit. Aber wofür eigentlich?
Nis: Na ja, für wichtigere Dinge. Für Strategie, Führung, Weiterentwicklung.
Andreas: Und machen wir das?
Nis: (lacht) Du meinst: Füllen wir die gewonnene Zeit wirklich sinnvoll? Wahrscheinlich nicht immer. Aber mal ehrlich: Muss jede gewonnene Minute gleich mit Tiefe aufgeladen werden? Vielleicht ist es auch okay, wenn wir einfach effizienter werden. Ich will nicht über jedes Tool eine Sinndebatte führen.
Andreas: Genau das ist doch das Problem. Wir reden über Tools, als wären sie neutral. Aber sie verändern uns – unser Denken, unsere Sprache, unsere Entscheidungen. Wer heute noch glaubt, KI sei nur ein Hilfsmittel, unterschätzt ihre Wirkung massiv. Und ich sehe, wie leicht wir bereit sind, Verantwortung abzugeben – nicht aus Faulheit, sondern weil es bequemer ist. Aber bequem ist selten klug.
Nis: Vielleicht fällt es uns so schwer loszulassen, weil wir Veränderung oft mit Verlust gleichsetzen. In ein paar Jahren werden wir zurückblicken und uns wundern, wie viel Zeit wir auf Aufgaben verschwendet haben, die heute längst automatisierbar sind. Wir müssen weitergehen – nicht rückwärts diskutieren.
Andreas: Weitergehen ist nicht das Problem. Aber wohin? Geschwindigkeit ohne Richtung ist Aktionismus. Ich glaube, genau jetzt wäre der Moment, in dem Führung wieder Richtung geben müsste – nicht mehr Kontrolle, sondern Klarheit. Und die entsteht nicht im Tunnel der To-dos.
Nis: Klarheit klingt gut – aber manchmal ist eine technologische Neuerung auch einfach Fortschritt. Nicht jede gewonnene Stunde muss deswegen gleich sinnstiftend genutzt werden.
Andreas: Aber das ist doch der blinde Fleck: Wenn alles leichter geht, heißt das nicht automatisch, dass es auch besser wird. Neulich hat ein Kollege mit KI eine Präsentation erstellt – durchdacht, visuell stark. Der Empfänger ließ sie von einer anderen KI zusammenfassen. Zwei Maschinen, null Gespräch. Für mich ist das kein Fortschritt, sondern ein Teufelskreis aus automatisierter Beliebigkeit.
Nis: Oder es ist schlicht ein neuer Umgang mit Arbeit. Weniger Tiefe heißt nicht automatisch weniger Wert. Vielleicht müssen wir auch lernen, Geschwindigkeit nicht als Feind zu sehen – sondern als Chance, Routinen zu überdenken.
Andreas: Schon. Ich frage mich manchmal, ob wir gerade dabei sind, den Dialog zu verlieren. Wenn wir nur noch Ergebnisse austauschen, aber kaum noch gemeinsam denken – was bleibt dann von echter Zusammenarbeit? Kultur entsteht nicht im Output, sondern im Miteinander.
Nis: Das ist kein Fehler der Technik. Sondern ein Zeichen dafür, dass wir zu wenig Mut haben, uns selbst ins Spiel zu bringen. Die Tools sind nicht das Problem. Die Frage ist: Was machen wir daraus? Welche Rolle spielen wir als Mensch?
Andreas: Und genau das ist die Lücke! Wir reden viel über Tools – aber kaum über die nächste Ebene. Was tun wir, wenn das Repetitive wegfällt? Was bleibt übrig, was ist uns wirklich wichtig?
Nis: Ich sage: Die Zeit ist da. Wir müssen sie nur anders nutzen. Nicht für das hundertste Meeting. Sondern für das, was uns wirklich weiterbringt. Und manchmal heißt das: entscheiden, was wir nicht mehr tun.
Andreas: Das machen wir ja inzwischen ganz bewusst. Wir haben unsere Retrospektiven erweitert – nicht nur, um auf Ziele zu schauen, sondern auch auf Bedeutung: Passt das, was wir tun, noch zu unserem Anspruch? Was davon ist KI-beschleunigt – aber vielleicht gar nicht mehr relevant? Und wir sprechen offen darüber, ob durch KI tatsächlich Freiräume entstehen – oder ob wir sie nur wieder mit Betriebsamkeit füllen, statt mit Sinn. Diese Fragen helfen uns, Orientierung zu behalten – gerade wenn alles schneller wird.
Nis: Ja. Und sie zwingen uns, klarer zu entscheiden. Weniger Reaktion, mehr Richtung. Das ist für mich der eigentliche Fortschritt.
Andreas: Genau deshalb ist der Satz „KI macht frei“ so ambivalent. Die Freiheit entsteht – aber sie ist nicht automatisch sinnvoll genutzt. Die entscheidende Frage ist eben: Wofür?
Nis: Wenn man das klar hat, wird aus Technologie tatsächlich Fortschritt.
Andreas: Und aus Beschleunigung wird Richtung.